Im Bus stelle ich in dem Moment fest, dass dies mein erster Urlaub ohne jegliche Autorität ist, als Klose in Berlin das 0:2 gegen Ecuador macht.
Nach 6 Stunden beginnt sich die Fahrt langsam zu ziehen und auch das größte, mit strikter Gier verteidigte Alkoholdepot geht zur Neige. An einer Tanke in der Auvergne lege ich mit einer Flasche Rotwein und einem Schaumwein für insgesamt 2,68 nach. Der Ökonom in mir strahlt.
Als ich nach einem Jägermeister bedingtem Crash langsam wieder hochfahre ist es ungefähr acht Uhr morgens. Die Meisten sind schon, oder immernoch wach. Wir sind kurz vor Lloret de Mar. Die Aussicht bald am Strand zu liegen schiebt Kopfschmerzen und Durst erst einmal auf. Mein Mp3-Player spielt „Der Junge ist verliebt“ und der Bus hält am Hotel.
Michael, Fabian und ich taumeln zum Strand. Es ist einsam. So leer werde ich den Strand die nächsten zehn Tage nicht mehr sehen. Keiner von uns kann irgendetwas sagen. Ein müdes, entkräftetes Grinsen ziert unsere Geischter.
Vorgestern waren wir noch den Hellweg entlanggejoggt, haben uns jeden albernen Scheiß durch den Kopf gehen lassen, sind zu mir und haben Sit-ups und Liegestütze gemacht. Für den Strandkörper. Für den Strand, an dem wir jetzt glücklich unsere Füße ins Wasser halten und uns gleichzeitig an den hastig erstandenen Wasserflaschen festhalten.
Nach und nach trudeln die Anderen ein, die hier und da noch Sonnenbrillen, Schwimmringe, Luftmatratzen, T-Shirts, Trikots, Flaggen, Hüte, Strandlaken, Sonnencreme und ähnlichen Touri-Scheiß ergattert haben.
Die ersten Bierdosen werden geöffnet. Ich werd’s nicht schaffen heute ’nen Ruhigen zu machen, denke ich.
Ich mach mich auf den Weg zum Baguette-Büdchen und besorg beiläufig die ersten zwei Dosen San Miguel.
Wer benennt denn bitte ein Bier nach dem Erzengel Michael, Bezwinger des Teufels und Wächter des Paradieses?
Fragend halte ich die Flasche in der Hand. An der Bar des „Surf“ geht während der Registrierung und Bändchenvergabe schon jede Menge Bier über die Theke. Ich bin nun mit gelb-rotem Bändchen, Flip-Flops, Pornobrille, Rationskarte für Frühstück und Abendessen, Badehose und Bierdose in der Tasche voll ausgestattet.
Eine Stunde später gluckern die Überläufe von Waschbecken und Bidet in unserem Zimmer unter der Last der Bierkühlung. Draußen brennt die Nachmittagssonne.
„Watt is‘ das denn?“ hatte Michael mistrauisch gefragt.
„Ein Bidet.“ konnte ich stolz entgegnen.
„Was macht man damit?“
„Wenn du mal zu faul zum Duschen bist, nimmste nur nen Bidet für deinen Arsch. Meine Omma hat auch son Ding.“
„Also ist deine Omma zu faul zum Duschen?“
„Ach was weiß ich.“ und fummle einen dicken Toilettenpapierstopfen in den Ablauf. Einvernehmliches Grinsen.
Dort lagern jetzt unsere Ein-Liter San Miguel Flaschen. Die sehen aus wie alte Milchflaschen. Gerade im Laden habe ich angewiedert aufgeschrien als ich dieses Format entdeckt habe.
„Bahh, ist das eklig. Wie warme, abgestandene, fastleere…“ Ich wollte noch mehr lustige Adjektive finden. „…Cola-Light.“
Michael begann seinen Korb voll zu laden. „Dann musst du schneller trinken.“
„Wir können doch auch was in Gläser schütten.“
„Tolle Idee Fabian, hast du Gläser dabei?“
„Also wir haben einen Zahnputzbecher“
Ich rolle mit den Augen und packe versuchweise eine Flasche ein.
Unser Plan ist es einen möglichst hohen Grundalkoholpegel noch vor dem Abendessen aufzubauen.
Um halb sechs tingeln wir schwer angetörnt von der Sonne, dem Bier und dem Schlafmangel durch die Lobby.
Wir passieren den Rationskarten-Checkpoint und bringen nur ein verpeiltes „N’abend“ hervor, schnappen uns die größten Teller die wir finden können und schlagen uns den Bauch mit Fritten, fritierten Fleisch- und Fischvariationen und Süßkram voll.
Jan-Erik, Stufensprecher a.D., geht von Tisch zu Tisch und erzählt allen von der Wilkommensparty die der Reiseveranstalter uns zu Ehren gibt: „Von acht bis elf gibts im ‚Tropics‘ Bier und Cocktails für Lau, danach gehts wohl im ‚Surf‘ weiter, also da, wo wir heute Nachmittag die Bändchen bekommen haben.“
Zurück in unserem Zimmer sind wir noch länger damit beschäftigt die Biervorräte zu dezimieren. Vom Balkon sehen wir die Ersten Richtung Disco aufbrechen. Die Gruppe wandert die Hauptstrasse entlang. Gekonnt, meinem Alkoholpegel trotzend weiche ich den Strassenhändlern aus, die aufdringlich leuchtenden Killefit verscherbeln.
Es wird tatsächlich Freibier und irgendetwas süßes, rotes Undefinierbares ausgeschenkt. Ich steh nur in direkter Reichweite zur Theke und bestelle mir immer abwechselnd Bier und diesen süßen Cocktail. Einen nach dem Anderen. Wenn es der Füllstand meines Bechers zulässt, riskiere ich einen Abstecher zur Tanzfläche oder zum Klo.
Die tanzende Menge kotzt mich an, allen voran die oberflächliche Partyfraktion meiner ehemaligen Stufe. Ich stolpere mich zurück zur Theke. „Voll machen!“
Als ich am Urinal stehe, schlägt Fabian hart gegens Waschbecken und beginnt prompt sich mit seinem Becher literweise Kranwasser reinzulöffeln.
„Warste kotzen?“
„Joo!“
Minuten später kommt Fabian zu mir und sucht seinen Becher.
„Ohne Becher bist du jetzt aufgeschmießen.“
Er belabert den Typen an der Theke solange bis er einen neuen Becher rausrückt. Als er sich freudestrahlend zu mir umdreht, kommt Miriam auf ihn zu, winkt mit einem Becher und sagt: „Faaaabian, ich hab‘ deinen Becher auf der Mädchentoilette gefunden.“
Es heißt um elf ist die Party vorbei, es ist halb elf, also steigere ich den Takt und wechsel vollständig auf den mittlerweile abartig süßen Cocktail. Mein Becher ist nie länger als 30 Sekunden trocken. Kurz nach elf, halb zwölf, kurz vor zwölf. Die Party geht länger als ich gedacht habe. Auf eine solche Langzeitbelastung und Übertaktung war ich nicht vorbereitet.
Als sich um zwölf die Party in die nächste Disko verlagert, falle ich filigran die Treppe herunter, grüß den Türsteher mit einem breiten „Schööönen Abnnd noch!“ und reihe mich in den „ABI, ABI, ABI, ABITUUUUUUUR“ und „LU, LU, LU, LUKAS PODOLSKI!“ grölenden Zug ein.
Als die Putzfrau die Tür aufhaut schlage ich die Augen auf.
Ich stelle mir ihre subjektive Sicht auf den Raum vor, da stößt sie auch schon ein entkräftetes „Dios Mio“ aus. Schnell kneife ich die Augen zu und stelle mich tot.
Es folgen etwa zehn Minuten in denen ich nur das gleichmäßige Klimpern der Kronkorken, die sie zusammenkehrt ausmache. Ab und an durchsetzt mit einer klirrenden oder kullernden Bierflasche.
Dann eine Türklinke und noch ein ausgedehnter Seufzer. Ahh, sie ist im Bad.
Dann höre ich ihre Schritte auf die Balkontür zugehen. Laut klappert diese auf und ein Schwall frischer, aber heißer Luft strömt mir ins Gesicht.
Mit ihr kommt auch der Lärm. Es gibt Irre, die sind jetzt schon am Pool, denke ich.
Und dann ruckelt es an meinem Bett und die Putzfrau spricht mich an.
„Towels?“
Verdammt, warum mich?
„Hola, Towels?
Langsam drehe ich mich um und öffne die Augen. Als Erstes seh ich sie. Näher als erwartet über mein Bett gebeugt.
„Ehhm…Bonjorno, Senorita.“
Ich sehe an ihr vorbei. Sie hat akurat an unseren Klamotten vorbeigeputzt. Die an der Balkontür fest mit Spucke angebrachten Weingummis und die dekorativ an der Wand verteilten Bieretiketten sind auch noch an ihrem Platz.
Ich sage „No Towels!“ und drücke meinen Kopf wieder ins Kissen.
Gerade als sie aus dem Zimmer raus ist, dreht sich Michael zu mir um.
„Ey Alter. Bonjorno ist italienisch, du Pflaume.“
„Jaja, moin moin. Wie spät ist es überhaupt, watt machen die hier so früh sauber?“
Michael schaut auf die Uhr. „Halb zwölf.“
Ich stöhne und kneife die Augen zu. Schwer zu verkraften, zusammen mit dem ganzen Lärm und den Kopfschmerzen.
Mit den Worten: „Bis zwölf gibbet noch Frühstück. Komm lass Kaffee trinken gehn oder ich dreh‘ am Rad.“ reiß ich mich hoch.
Wir lassen den friedlich schnarchenden Fabian zurück und wanken zum einzigen Frühstücksbuffet an dem wir teilnehmen werden. Keine Putzfrau oder Frühstück vermag uns die restliche Woche so früh zu wecken.
…Fortsatz
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